Künstlermanagementvertrag sittenwidrig !

Musikrecht: Das Landgericht Potsdam stellte in einer lesenswerten Entscheidung auf die hiesige Widerklage mit Urteil vom 2.Juni 2021 (Az: 2 O 101/20) antragsgemäß fest, dass ein Künstlermanagementvertrag (Managementvertrag)  und die hierzu geschlossenen Zusatzvereinbarungen (unter anderem ein Bookingvertrag, ein Domainvertrag und ein Merchandisingvertrag) wegen Sittenwidrigkeit nicht wirksam zustande gekommen sind und wies zudem die Klage der Gegenseite vollständig ab.

Was war geschehen ?

Die Parteien stritten um die Wirksamkeit eines Managementvertrages, aus dem die Klägerin (ein im Bereich Schlagermusik tätiges Musiklabel und Künstlermanagement) gegen die Beklagte (eine Sängerin) Vertragsstrafenforderungen wegen eines von ihr behaupteten vertragswidrigen Verhaltens geltend machte sowie um die Zahlung eines Betrags für die Produktion von Tonträgern. Die Beklagte hatte im Jahr 2017, seinerzeit noch minderjährig, einen sie in zahlreichen Punkten benachteiligenden Managementvertrag sowie darüberhinaus weitere „Zusatzvereinbarungen“ geschlossen.

Zur Entscheidung:

Künstlermanagementvertrag und Zusatzvereinbarungen als einheitliches Rechtsgeschäft

Das Gericht wertete den Managementvertrag und die Zusatzvereinbarungen dabei als einheitliches Rechtsgeschäft und führte hierzu aus:

Bei dem Managementvertrag vom 01.04.2017 und den dazugehörigen Zusatzvereinbarungen„Vertrag für Konzerte u. Provision“, „Shop-Artikel/Verkaufs-Vertrag“, „Domain/en und E-Adressen/Account-Vertrag“ handelt es sich um ein einheitliches Rechtsgeschäft, sodass sich gemäß  § 139 BGB die Nichtigkeit einzelner Teile auf das gesamte Rechtsgeschäft erstreckt.

Mehrere an sich selbständige Vereinbarungen stellen ein einheitliches Rechtsgeschäft dar, wenn nach den Vorstellungen der Vertragsschließenden die Vereinbarungen nicht für sich allein gelten, sondern gemeinsam miteinander „stehen und fallen” sollen (BGH, NJW 1976, 1931, amtl. Leitsatz).

So liegt der Fall auch hier: Die Zusatzvereinbarungen sind bereits dadurch mit dem Managementvertrag verbunden, dass sie jeweils von dessen Laufzeit abhängen und nur gemeinsam mit diesem beendet werden können. Daraus ergibt sich der eindeutige Wille der Parteien, dass die einzelnen Vereinbarungen nur miteinander gelten sollten.

 Sittenwidriges Rechtsgeschäft

Das Landgericht führt zunächst einleitend aus:

Ein Rechtsgeschäft ist gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und damit nichtig, wenn es mit den guten Sitten unvereinbar ist, also gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dabei ist auf den Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts abzustellen, der aus dem Inhalt, den Beweggründen und dem Zweck des Rechtsgeschäfts zu ermitteln ist (BGH, st. Rspr.,vgl. etwa NJW 1990, 704 m.w.N.). Für die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts kommt es weder auf das Bewusstsein der Parteien von der Sittenwidrigkeit noch auf eine Schädigungsabsicht einer Partei an. Es genügt vielmehr bereits, dass die handelnde Partei die Tatschen kennt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt, oder sich der Kenntnis dieser Tatsachen bewusst oder grob fahrlässig verschließt. Demgemäß können gegenseitige Verträge, auch ohne dass die Voraussetzungen des Wuchertatbestands des  §  138 Abs. 2 BGB erfüllt sind, als wucherähnliche Rechtsgeschäfte nach  § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung objektiv ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der objektiven und subjektiven Mittel als sittenwidrig erscheinen lässt. Ein solcher Umstand kann sich insbesondere auch aus einer verwerflichen Gesinnung einer Vertragspartei ergeben, wenn sie die wirtschaftlich schwächere Position der anderen Partei bewusst zu ihrem Vorteil ausnutzt oder sich jedenfalls leichtfertig der Tatsache verschließt, dass die andere Partei nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für sie ungünstigen Vertrag eingelassen hat. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders groß, so vermag dies den Schluss auf die bewusste oder grob fahrlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstands rechtfertigen (BGH, NJW 2001, 1127 m.w.N.).

Managementvertrag und Zusatzverträge als Knebelungsvertrag

Das Gericht stellt hebt dabei zunächst zu Recht den Knebelungscharakter hervor. Und führt hierzu einleitend aus:

Der streitgegenständliche Managementvertrag und die zugehörigen Zusatzvereinbarungen widersprechen nach ihrem Gesamtcharakter dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.

Es handelt sich um einen Knebelungsvertrag, der die künstlerische und wirtschaftliche Handlungs- und Entscheidungsfreiheit der Beklagten in sittenwidriger Weise nahezu vollständig zugunsten der Klägerin einschränkt. Der Beklagten wird durch den Vertrag die Entscheidungsgewalt über Art, Inhalt und Dauer ihrer künstlerischen Tätigkeit weitestgehend vollständig genommen.

Gleichzeitig überwälzt der Vertrag das wirtschaftliche Risiko (einschließlich etwaiger Haftungsrisiken) nahezu vollumfänglich auf die Beklagte, erschwert dieser in unangemessener, sittenwidriger Weise die Loslösung vom Vertrag und gewährt der Klägerin wucherähnliche Entgelte.

sittenwidrige Beschränkung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und künstlerischen Entscheidungsbefugnis durch Managementvertrag

Das Landgericht setzt sich sodann mit der unangemessenen Beschränkung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und der künstlerischen Enschreidungsbefugnis der Künstlerin auseinander und führt hierzu aus wie folgt:

 

Die §§ 3, 4 und 5 des streitgegenständlichen Managementvertrags beschränken sowohl die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit als auch die künstlerische Entscheidungsbefugnis der Beklagten in so umfassender Weise, dass hier von einer Sittenwidrigkeit ausgegangen werden muss.

Ausweislich des § 3 ist die Beklagte verpflichtet, keine vertraglichen Bindungen gegenüber Dritten ohne vorherige Zustimmung der Klägerin einzugehen. § 4 gewährt gleichzeitig der Klägerin umfassende Vertretungsvollmacht für die Beklagte und alleinige Entscheidungsbefugnis in allen rechtsgeschäftlichen Angelegenheiten mit Bezug auf das gegenständliche Vertragsverhältnis, mithin in allen die künstlerische Tätigkeit der Beklagten betreffenden rechtsgeschäftlichen Angelegenheiten. Zwar soll die Beklagte nach § 5 des Vertrags die alleinige Entscheidungsbefugnis in allen künstlerischen Angelegenheiten behalten, davon ausgenommen sind jedoch Fragen der Ausstattung oder der Auftritte sowie des Equipments und der technischen Anlagen und Geräte der Beklagten. Damit aber ist die Beklagte nicht nur ihrer rechtsgeschäftlichen Betätigungsfreiheit rund um ihre künstlerische Tätigkeit vollständig beraubt, es ist auch nicht ersichtlich, wo noch Raum für ihre künstlerische Freiheit bestehen sollte, jedenfalls aber muss dieser Raum als sehr gering angesehen werden. Denn der Klägerin steht es ausweislich der dargestellten Regelungen des Vertrags völlig frei, allein über die Auswahl der Vertragspartner und den Inhalt der – im Namen der Beklagten und allein sie verpflichtenden – Verträge zu disponieren. Die Verträge werden typischerweise den Kern der künstlerischen Betätigung der Beklagten betreffen, werden sie doch Art und Umfang des künstlerischen Wirkens, etwa im Rahmen von Tonträgerproduktionen oder Live-Auftritten, umfassend regeln. Letztlich verbleibt der Beklagten damit außerhalb dieser Verträge, anders als es § 5 des Vertrags suggerieren soll, kein künstlerischer Spielraum.

Sittenwidrigkeit auch vor dem Hintergrund der langen Laufzeit und der Verlängerungsklausel im Managementvertrag

Das Gericht zudem mit zutreffender Argumentation auf die unangemessen lange Laufzeit und die Regelung zur automatischen Verlängerung im Managementvertrag ein. Hierzu heißt es wie folgt:

Nicht zuletzt ergibt sich auch im Zusammenspiel mit der von dem Vertrag vorgesehenen langen

Laufzeit von 5 Jahren ab Vertragsschluss bei automatischer Verlängerung um weitere 3 Jahre hier das Bild einer sittenwidrigen Knebelung der Beklagten durch die Klägerin.

Vertragstrafenregelung im Managementvertrag

Das Landgericht nahm auch die Vertragstrafenregelung im Künstlermanagementvertrag in den Blick und führte hierzu aus:

Zu diesem Bild und damit zu dem gegen die guten Sitten verstoßenden Gesamtcharakter des streitgegenständlichen Managementvertrags gehört auch die Vertragsstrafenregelung des § 8, auf die die Klägerin ihre Klage stützt. Diese ist nicht nur vollkommen überraschend – der entsprechende Absatz ist mit „Geltungsbereich“ überschrieben –, sie ist auch intransparent, denn es wird aus ihr nicht deutlich, für welche Verpflichtungen sie gelten und welche Höhe sie konkret erreichen soll (lediglich eine maximale Begrenzung ist vorgesehen). Die Regelung sieht zudem kein Verschuldenserfordernis vor, die Klägerin ließ sich hierdurch also eine verschuldensunabhängige Vertragsstrafe in von ihr nahezu vollkommen frei zu bestimmender Höhe versprechen. Damit aber festigt sich das Bild eines die Klägerin einseitig begünstigenden Knebelvertrages, der die wirtschaftlich unerfahrene – zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sogar noch minderjährige und damit beschränkt geschäftsfähige – in sittenwidriger Weise benachteiligenden Vertrages, in Rahmen dessen die Vertragsstrafenregelung als zusätzliche Möglichkeit der Einschüchterung der Beklagten durch ihr vermeintlich drohende fünfstellige Vertragsstrafen anzusehen ist.

Wucher: Höhe der Vergütung im Managementvertrag, Boookingvertrag, Mechandisingvertrag sittenwidrig

Das Landgericht bewertete schon die Höhe  Vergütung des Managements im Managementvertrag, Bookingvertrag und Merchendisingvertrag als sittenwidrig:

Nicht zuletzt begründet die in dem streitgegenständlichen Vertrag und den Zusatzvereinbarungen vorgesehene wucherähnliche Vergütungsregelung den sittenwidrigen Gesamtcharakter des Vertrages. Gemäß Nr. 3 der Zusatzvereinbarung „Vertrag für Konzerte u. Provision“ (Anlage WK 1, Blatt 464 GA) erhält die Beklagte für jeden Auftritt eine Provision in Höhe von 40 % des Gagenbetrages, die Klägerin also 60 %. Dies allein übersteigt die Grenzen dessen, was als gerade noch angemessen und damit nicht sittenwidrig gilt, um mindestens das doppelte und ist damit wucherähnlich und sittenwidrig (vgl. etwa OLG Brandenburg, Urteil vom 16.03.2016, 4 U 151/13, – juris; LG Berlin, Urteil vom 24.04.2007, 15 O 438/05 – juris). Zusätzlich erhält die Klägerin ausweislich des § 6 des Managementvertrages von den umsatzsteuerbereinigten Einnahmen der Beklagten nach Abzug von Kosten 50 %. Auch dieser Wert ist im Vergleich von Leistung und Gegenleistung deutlich überzogen, nicht mehr branchenüblich und wucherähnlich. Nichts anderes gilt für die Zusatzvereinbarung „Shop-Artikel / Verkaufs-Vertrag“ (Anlage WK1, Blatt 465 GA), wonach die Klägerin von den Einnahmen aus dem Verkauf von Merchandisingartikeln 90 % erhalten und überdies die Beklagte bei Vertragsauflösung verpflichtet sein soll, Restbestände der Waren zum Netto-Einkaufspreis zzgl. einer Provision von 25 % zu übernehmen.

Überhelfen des Verlustrisikos bei Vertragsauflösung sittenwidrig

Nicht nur die Höhe der hier vorgesehenen Provisionen für die Klägerin ist sittenwidrig, es ist auch mit dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden nicht vereinbar, der Beklagten im Falle der Vertragsauflösung das gesamte wirtschaftliche Risiko nicht verkaufter Merchandisingprodukte zuzüglich einer Provision für die Klägerin überzuhelfen und sie somit faktisch von einer Vertragsauflösung abzuhalten.

Nachvertragliche Vergütungsregelungen, sog. Sunset-Klauseln

Das Gericht nahm in seinem Urteil auch die nachvertraglichen Vergütungsregelungen in den Blick und führte hierzu aus:

Zu diesem Schluss führt auch die in § 6 des Managementvertrages enthaltene nachvertragliche Vergütungsregelung, wonach die Klägerin – unabhängig von dem Nachweis eigenen Zutuns – im ersten nachvertraglichen Jahr eine Umsatzbeteiligung von 100 % des im letzten Beteiligungsjahr geltenden Satzes und in zwei weiteren Jahren 60 % dieses Satzes erhalten soll. Diese nachvertraglichen Vergütungsregelungen sind so überhöht und beeinträchtigen die Klägerin selbst für den Falle der Vertragsauflösung so weitgehend in ihrer wirtschaftlichen Entscheidungs- und Betätigungsfreiheit, dass sie nicht nur zum sittenwidrigen Gesamtcharakter des Vertrages beitragen, sondern auch auf eine verwerfliche Gesinnung der Klägerin schließen lassen.

Knebelung durch Verknüpfung einer Vertragsbeendigung mit dem Ausgleich offener Forderungen

Zu der Frage, ob eine Vertragsbeendigung des Managementvertrags von dem Ausgleich offener Forderungen aus dem Künstlerkonto abgehängt gemacht werden dürfe, führte das Landgericht aus:

Keinen anderen Schluss lässt die Bestimmung des § 7 des Managementvertrages zu, die jede Vertragsbeendigung an einen Ausgleich von offenen Forderungen bzw. einen Ausgleich des Künstlerkontos knüpfen möchte. Die Regelung ist schon nicht hinreichend bestimmt, jedenfalls aber verdeutlicht sie umso mehr den Knebelungscharakter des streitgegenständlichen Vertrages, wird hierdurch doch in unzumutbarer Weise eine Vertragsauflösung durch die Beklagte verhindert.

Ausschluss des §627 BGB in AGB  unwirksam

Dies gilt ebenso für den Ausschluss des § 627 BGB in derselben Klausel – der überdies schon gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist, denn es handelt sich augenscheinlich um eine allgemeine Geschäftsbedingung. Auch hier wird offenbar, dass die Beklagte, nachdem sie den für sie wie gezeigt wirtschaftlich höchst ungünstigen Vertrag unterzeichnet hatte, an diesen faktisch gefesselt werden sollte. Die genannten Regelungen stehen in fundamentalem Widerspruch zu allen Grundgedanken der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen.

Autor: Rechtsanwalt Stephan Suchy Dresden

Rechtsanwalt Suchy ist Fachanwalt für Urheberrecht und Medienrecht in Dresden und steht Ihnen bei Fragen rund um das Musikrecht gern zur Verfügung.

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