Der BGH (Beschluss vom 1.6.2017, I ZR 139/15 – Afghanistan Papiere) hat dem EuGH im Zusammenhang mit dem Urheberschutz geheimer militärischer Lageberichte Fragen zur Notwendigkeit einer Abwägung zwischen dem Urheberrecht und den Grundrechten auf Informations- und Pressefreiheit vorgelegt. Insbesondere soll der EuGH klären, ob auch außerhalb der urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen und Verwertungsbefugnisse eine allgemeine Interessenabwägung vorgenommen werden darf.

 

Zum Hintergrund

 

Streitgegenständlich ist die Veröffentlichung von geheimen militärischen Lageberichten auf dem Onlineportal der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. Diese wöchentlichen militärischen Lageberichte werden unter der Bezeichnung „Unterrichtung des Parlaments“ (UdP) unter anderem an ausgewählte Abgeordnete des Bundestages, Referate des Bundesministeriums der Verteidigung und andere Ministerien übersandt. Daneben werden durch die Klägerin (die Bundesrepublik Deutschland) gekürzte Fassungen als „Unterrichtungen der Öffentlichkeit“ (UdÖ) veröffentlicht.

Das vorgenannte Presseunternehmen hatte zunächst erfolglos die Einsichtnahme in die UdP beantragt. Nachdem das Presseunternehmen auf unbekannten Wegen an einen Großteil der Berichte aus den Jahren 2005 bis 2012 gelangt war, wurden diese auf Ihrem Onlineportal als sog. „Afghanistan Papiere“ veröffentlicht.

Daraufhin wurde es unter Verweis auf das Urheberrecht auf Unterlassung in Anspruch genommen. Eine Praxis die vielerorts unter der Bezeichnung  „Zensururheberrecht“ diskutiert wird.

 

Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Köln hatte der Klage stattgegeben. Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH hat die Angelegenheit nunmehr dem EuGH vorgelegt.

 

In der Pressemitteilung des BGH heißt es hierzu:

 

„Der BGH hat dem EuGH ferner die Frage vorgelegt, ob die Grundrechte der Informationsfreiheit (Art. 11 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta) und der Pressefreiheit (Art. 11 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta) Einschränkungen des ausschließlichen Rechts der Urheber zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke außerhalb der in der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Schranken dieser Rechte rechtfertigen.

Diese Frage stellt sich, weil die Voraussetzungen der – hier allein in Betracht kommenden – Schranken der Berichterstattung über Tagesereignisse und des Zitatrechts nach dem Wortlaut der betreffenden Regelungen der Richtlinie nicht erfüllt sind. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte sich darauf beschränkt, die militärischen Lageberichte in systematisierter Form im Internet einzustellen und zum Abruf bereitzuhalten. Danach stand die Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe der UdP nicht in Verbindung mit einer Berichterstattung und erfolgte auch nicht zu Zitatzwecken. Darüber hinaus waren die UdP zum Zeitpunkt ihrer Vervielfältigung und öffentlichen Wiedergabe durch die Beklagte der Öffentlichkeit nicht bereits – wie es das Zitatrecht voraussetzt – rechtmäßig zugänglich gemacht worden.

Der BGH hat in seinem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH deutlich gemacht, dass nach seiner Ansicht eine außerhalb der urheberrechtlichen Verwertungsbefugnisse und Schrankenbestimmungen angesiedelte allgemeine Interessenabwägung durch die Gerichte nicht in Betracht kommt, weil sie in das vom Richtliniengeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bereits allgemein geregelte Verhältnis von Urheberrecht und Schrankenregelung übergreifen würde. Danach könnte sich die Beklagte zur Rechtfertigung eines Eingriffs in das Urheberrecht an den militärischen Lageberichten nicht mit Erfolg auf ein gesteigertes öffentliches Interesse an deren Veröffentlichung berufen.“

 

Anmerkung: Urheberrecht vs. Pressefreiheit (Zensururheberrecht)

 

In seiner Vorlagefrage hat der BGH bereits anklingen lassen, nach wie vor der Auffassung zu sein, dass eine allgemeine Interessenabwägung außerhalb der Verwertungsbefugnisse und urheberrechtlichen Schrankenregelungen nicht in Betracht komme.

Diese Auffassung ist vor dem Hintergrund der grundrechtlich und konventionsrechtlich geschützten Meinungs- und Pressefreiheit und der hiermit korrespondierenden Informationsfreiheit sowie nicht zuletzt vor dem Hintergrund des eigentlichen Sinn und Zwecks des Urheberrechts allerdings nur schwer nachzuvollziehen.

 

Schutzzweck Urheberrecht

 

Es dürfte wohl außer Frage stehen, dass das Urheberrecht nicht die Aufgabe hat, Geheimhaltungsinterressen zu schützen oder gar missliebige Berichterstattungen zu unterbinden. Ein Blick in die Vorschrift des § 11 UrhG besagt jedenfalls nichts dergleichen. Unter den urheberrechtlichen Schutz sollen vor allem ideelle und materielle Interessen des Urhebers fallen. So ist der Urheber beispielsweise an der Verwertung seines Werkes tunlichst angemessen zu beteiligen. Welche ideellen und materiellen Interessen der behördeninterne Sachbearbeiter oder dessen Dienstherr an einem Dokument haben soll, dass gerade nicht zur Veröffentlichung und monetären Verwertung gedacht ist, erschließt sich nicht.

 

Vielmehr geht es vorliegend allein um den Schutz etwaiger unter Umständen auch berechtigter Geheimhaltungsinteressen. Die hier zweifellos bestehenden widerstreitenden Interessenlagen sollten  im Rahmen einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange in Ausgleich gebracht werden. Eine solche könnte bei Bestehen einer Konfliktlage mit den Kommunikationsgrundrechten beispielsweise im Rahmen der Prüfung des Merkmales der Widerrechtlichkeit i.S.d. § 97 Abs.1 UrhG erfolgen. Dies wird in der Fachliteratur ohnehin seit Jahren zu Recht vertreten.

 

Rechtsprechung des EGMR

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte in seiner Entscheidung Ashby Donald ./. Frankreich bereits die Marschrichtung vorgeben. Nicht nur nach meinem Verständnis der Entscheidung des EGMR (vgl. Dr. Nieland in K & R 2013), ist über die Anwendung der urheberrechtlichen Schranken hinaus, in Konfliktsituationen zwischen dem Urheberrecht und der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit stets eine Einzelfallabwägung erforderlich, welche eine sachgerechte Berücksichtigung des Gehalts und der Reichweite des Grundrechte der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie der hiermit korrespondierenden Äußerungsfreiheit des Art. 10 EMRK ermöglicht.

Eine solche Interessenabwägung scheint insbesondere in dem vorliegenden Fall zwingend geboten.

Eine solche Einzelfallabwägung unter Verweis auf die (angeblich) abschließenden Regelungen des Urheberrechts kategorisch auszuschließen, erscheint weder erforderlich noch sachgerecht. Dies gilt vor allem dann, wenn es dem Anspruchsteller ausschließlich auf den Schutz seiner Geheimhaltungsinteressen ankommt und dieser von vornherein keine urheberrechtlichen Verwertungsabsichten hegt.

Man darf auf die Entscheidung des EuGH gespannt sein. Sie könnte das Urheberrecht revolutionieren.

 

Autor:

Rechtsanwalt Stephan Suchy

Rechtsanwalt Suchy ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in Dresden.